Portrait von Carlos Manuel

 

Arten von Leben und Sterben in einer beschädigten Welt

 

 Ein Porträt des Regisseurs Carlos Manuel anläßlich der Premiere seines neuesten Theaterstücks: UNRUHIG BLEIBEN nach Donna Haraway

 

Das erste Bild was er von sich hat, war am Strand. Er weiß nicht, ob diese Erinnerung echt oder durch Fotografien beeinflusst ist. Vielleicht spielte er nur im Haus. Oder mit einem Schaukelpferd oder einem Wagen. Auf alle Fälle ist Carlos Manuel in Angola geboren. Für die Angolaner war Carlos Manuel der Kolonialist. Für die Portugiesen dagegen war er Portugiese zweiter Kategorie: so wurden die Portugiesen benannt, die in die Kolonie hineingeboren wurden.

Er erinnert sich gerne an Nachmittage bei seiner Oma. Sie nähte viel an einer Nähmaschine. Sonst gab es in der Kindheit viele verschiedene Schulen für Carlos. Zwei Jahre verbrachte er u.a. in einer Militärschule  und das war der einzige Ort, wo nie diskutiert wurde, wer reich ist und wer nicht: „Ordnung herrschte zwar, aber die ganze Zeit ging es nur darum, wie man diese Ordnung unterwandern kann. Die Frage, wer hat Geld, was ziehst du an, wie siehst du aus, existierte da nicht. Zumal wir alle hässlich aussahen. Wir hatten alle rasierte Köpfe. Nur Jungs. Also eigentlich ganz schlimm, aber lustig.“

 

Er wollte alles werden

Mit sieben Jahren ist Carlos nach Brasilien gekommen. Vielleicht auch weil er in einer religiösen Schule war, wollte er Priester werden. Später – Physiker. Studiert hat er, auch aus Negation, Philosophie. Er hatte dabei die Optionsliste der Uni durchgestrichen: „Das will ich nicht, das will ich nicht...”. Da blieb nur Philosophie übrig. Aus der Philosophie heraus wollte er später sehr gerne Philologie lernen. Letztendlich hat er sehr viel mit einem Regisseur zusammen gearbeitet und im Alter von 17 bis 21 Jahren 10 Stücke ins Leben gerufen. So kam er zum Theater. 

 

Konstruierte Erinnerungen

Das erste Objekt was er sich selber gekauft hat mit seinem eigenen Geld war ein Buch. Er war 14 und ist in eine Buchhandlung gegangen, wo er sich zwei-drei Theoretiker der Anarchie gekauft hat. Das sollen Proudhon, Bakunin und Malatesta gewesen sein. Bücher über den Besitztum als Verbrechen und über die Strukturen der Anarchie als Politprogramm. Die Leute vom Laden haben ihn mit großen Augen angeschaut. „Mit meinem ersten Geld habe ich vorher bestimmt Süßigkeiten gekauft, aber ich sage jetzt, dass ich zu dem Bücherladen gegangen bin. Es ist bestimmt erfunden, weil ich es ehrlich gesagt nicht mehr weiß.“

 

Über Paris nach Berlin

Mit 24 Jahren, als Carlos die Uni in Brasilien beendet hatte (endlich mal die Philosophieuni!), ist er abgehauen. In Frankreich hat er sich nochmal an der Schule beworben. Sogar an zwei Schulen und er wurde an beiden angenommen. Das waren die Schauspielschule und die Theaterwissenschaft in Paris, wo er weitere vier Jahre geblieben ist: „Am Ende war wieder mal die Frage: Und jetzt? Bleibst du hier? Kehrst du zurück nach Brasilien?“ Er hatte aber einen Kollegen, der in München engagiert war und durch ihn kam er nach Deutschland. Und hier lebt und arbeitet er schon seit 28 Jahren.

 

Von attraktiv bis anstrengend

Im Theater arbeitet Carlos Manuel viel mit Laien zusammen. Vielleicht weil er genauso angefangen hat in Brasilien, versucht er wenig Unterschiede zwischen Professionellen und nicht-Professionellen zu machen: „Der einzige Unterschied für mich ist, dass der Professionelle davon lebt. Der sogenannte Laie lebt nicht davon.“ Obwohl manche Professionellen sehr prekär davon leben und manche Laien mehr Theater machen, findet Carlos: „Ich habe mit Laien gearbeitet, die schon 30-40 Jahre Theatererfahrung haben. Das heißt die sind sehr gute Schauspieler und mit Professionellen, die absolut unfähig sind. Ich finde diese Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und entweder öffnen sie sich oder nicht.“

 

Unruhig bleiben!

„«Unruhig» klingt auf Deutsch wie eine Art Nervosität. Auf Englisch ist das anders“, sagt Carlos: „«Trouble» ist eine Verwirrung, eine Unklarheit. Es ist ein Moment, in dem du nicht weißt, wo du dich befindest. Und was Donna Haraway sagt, ist: Bitte versuch nicht da raus zu kommen; versuch nicht das Problem zu lösen, weil das Problem dann nicht mehr da ist.“ Carlos Manuel glaubt, dass es unsere Aufgabe ist, Probleme zu kreieren, „troubles“ zu produzieren: „Nachrichten sind nur Lösungen zu Problemen, die wir nicht sehen sollen. «Trouble» ist ein Moment, in dem deine Prinzipien und Sichtweisen plötzlich getrübt sind. Und durch diese Trübung siehst du was anderes. Du siehst nicht scharf, aber siehst dabei was anderes. Und dieses Andere ist notwendig, um scharf sehen zu können.“

Donna Haraway fragt, wie man es schafft, mit dem zu leben, was man zerstört. Es geht um Arten von Leben und Sterben in einer beschädigten Welt. Das ist ihre Wette. Und Carlos Manuel hat diese Wette angenommen: „Ich muss die Beschädigung akzeptieren, die ich, meine Kultur – wie auch immer wir das nennen –, gemacht haben und diese Beschädigung weitertragen, um damit leben zu können und sie zu ändern.“

 

 

 

 

 

Vorstellungen

Premiere am 08. Mai um 19 Uhr

 

weitere Vorstellungen am:

 

Do 09.05 19:00
Sa 18.05 19:00
So 19.05 16:00
Mo 20.05 11:00
Do 23.05 19:00
Fr 24.05 19:00
Sa 25.05 19:00 (mit Audio-Deskription und Gebärden-Übersetzung (Bühnenführung um 18Uhr))
Mo 27.05 11:00
Mi 29.05 19:00 (im Rahmen des PAF, Performing Art Festival Berlin)

 

Adresse

Zitadelle Spandau

Am Juliusturm 64

13599 Berlin

Bastion Kronprinz

Share it!

Mitwirkende

Carlos Manuel - Regie
Anne Duk Hee Jordan - Rauminstallation / Bühnenbild
Mathias Hinke - Musik
Verena Hay - Kostüme

und Fernanda Farah, Franziska Ritter, Helmut Geffke und Josep Caballero Garcia - Darsteller*innen

Julia Schreiner - Produktion

 

Kontakte

Kartenvorbestellung:

schreiner@jtw-spandau.de

 Presse:

 Ciprian Marinescu

 01784518623

 presse@unruhig-bleiben.de